Nachruf auf David Graeber

Gestern Abend las ich eher zufällig, dass David Graeber gestorben ist. Am 02. September, 59jährig, in Venedig sehr schnell und überraschend auf einer Urlaubsreise.

Am Rande einer Tagung hatte ich zum ersten Mal von ihm und von seinem gerade in Deutschland erschienenen Buch „Schulden – Die ersten 5.000 Jahre“ gehört. Nach den wenigen Sätzen des Referenten dazu kaufte ich es mir sofort. Leider habe ich es nie bis zu Ende gelesen. Es ist anspruchsvoll, weil Graeber herkömmliche Sichtweisen hinterfragt und manche völlig auf den Kopf stellt. Das macht er in beeindruckender Weise, indem er versucht, das Problem der Schulden an der Wurzel zu packen. Dazu geht er in der Geschichte bis zu den Anfängen von Schulden zurück. Er wirft interessante Fragen auf, z.B.: Warum wird die moralische Keule immer nur über dem Schuldner geschwungen? Schließlich ist es der Gläubiger, der auf eine Rendite (Zins) hofft, obwohl er von vornherein um das Risiko des Kreditausfalls weiß. Dieses hochgehaltene moralische Prinzip stützt die Macht der Herrschenden.

Seine Ansichten sind hoch aktuell – gerade in der jetzigen Debatte um die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, in der sich manche zu Moralaposteln aufschwingen und das Insolvenzverfahren mit einer Erziehungsfunktion für den Schuldner versehen wollen. Damit tragen sie ganz offen ihre Unkenntnis der Systematik und des Sinnes des Verfahrens vor sich her.

Ich jedenfalls werde das Buch zu Ende lesen. Und noch ein weiteres Buch von ihm: „Bullshit Jobs“. Seine Thesen darin sind steil, aber nicht von der Hand zu weisen: „Ein erheblicher Teil … der Angestelltenjobs von heute sei völlig unnötig. Garnisonen von Private-Equity-Managern, Lobbyisten, Kuratoren, Salesmanagern und App-Programmierern hätten Jobs, die völlig nutzlos seien, und das wüssten die meisten sogar. Sie säßen tagsüber viele Stunden in Besprechungen, in denen es nie um irgendetwas Bedeutendes, sondern nur um den Status innerhalb der Firma gehe und sie arbeiteten an Dingen, die kein Mensch brauche.“ (Zum Tod von David Graeber: alternativlos Anarchist, ZEIT ONLINE) Diese Jobs würden aber meist mit ordentlichem Einkommen belohnt, woraus Graeber die Regel ableitet: „… dass eine Arbeit umso schlechter bezahlt wird, je offensichtlicher sie anderen Menschen nützt.“

Menschen wie Graeber, die sich fundiert mit gesellschaftlichen Verhältnissen und Verwerfungen auseinandersetzen und dabei Alternativen aufzeigen, brauchen wir angesichts all der globalen Krisen heute mehr denn je.