Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
„Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Bertolt Brecht
Sechster Armuts- und Reichtumsbericht (2021)
„Unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales hat die Bundesregierung die mit der Vorlage des Ersten Armuts- und Reichtumsberichts im Jahr 2001 begonnene Bestandsaufnahme der sozialen Lage in Deutschland fortgesetzt und den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht (6. ARB) beschlossen.
Der 6. ARB knüpft an die bisherige Berichterstattung an. Neue Akzente des Berichts nehmen Bezug auf (sozial-)politische Schwerpunkte dieser Legislaturperiode: Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der (regionalen) Bedeutung von Infrastruktur und Leistungen der Daseinsvorsorge und die (subjektiven) Einstellungen zu Armut, Reichtum und Verteilung werden intensiver als bislang analysiert. Auch die zeitliche Dimension der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Lagen wird stärker in den Fokus genommen – soziale Mobilität, aber auch Verfestigung, kann so besser erfasst werden. Um die Bewertung der Bedingungen sozialer Mobilität zu verbessern, wurden die empirischen Ergebnisse von Risikofaktoren stärker durch die Analyse rechtlicher und institutioneller Rahmenbedingungen ergänzt und durch aus der Praxis abgeleitete Empfehlungen flankiert.“ (ARB – Der 6. Armuts- und Reichtumsbericht (armuts-und-reichtumsbericht.de)
Verschiedene Verbände und Vereine hatten zum Entwurf des Berichtes Stellung genommen:
„Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) begrüßt es, dass im vorliegenden Entwurf zum sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung das Thema Verschuldung und Überschuldung wieder in eigenen Abschnitten Berücksichtigung findet. In dem vorliegenden Entwurf wurden neben den Daten der Creditreform auch die in den Schuldnerberatungsstellen erhobenen Daten des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt. Eine Vermischung der Daten aus beiden Quellen ist wegen der unterschiedlichen Erhebungsweise aus unserer Sicht jedoch nicht zulässig und findet im Bericht erfreulicher Weise nicht statt. Auch aus Sicht der Schuldnerberatung wird in Folge der COVID-19-Pandemie mit einem Anstieg von überschuldeten Verbraucher*innen zu rechnen sein. Eine tiefergreifende Analyse zur Überschuldungsproblematik fehlt im Bericht jedoch. Sich zu verschulden ist längst ein normaler Vorgang des Wirtschaftslebens geworden und somit stellt das Thema Überschuldung kein Randphänomen dar…“ weiterlesen
Auf der Seite des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) heißt es:
Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt: Es gibt immer mehr Arme und die soziale Ungleichheit verfestigt sich, während gleichzeitig die obere Hälfte der Bevölkerung 99,5 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Arbeit schützt nicht vor Armut. Hinzu kommt: Wer einmal arm ist, bleibt arm. Sozialer Aufstieg durch Beschäftigung, Bildung und Eigentumserwerb bleibt ein leeres Versprechen. Diese Situation wird durch die Pandemie noch einmal erheblich verschärft: Menschen mit geringem Einkommen müssen häufiger Einbrüche im Einkommen hinnehmen und diese fallen bei ihnen stärker ins Gewicht…“ weiterlesen
Die Diakonie Deutschland legt das Konzept „Gegen Armut in Deutschland hilft nur Existenzsicherung neu denken – Hartz IV überwinden“ vor. Der 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt: Die Armut in Deutschland hat sich massiv verfestigt. Nach mehr als 15 Jahren „Hartz IV“ ist es dringend Zeit für einen Neuanfang. Die Diakonie Deutschland schlägt in einem heute vorgelegten Konzept vor, die existenzsichernden Hilfen grundlegend neu zu gestalten. Statt auf Sanktionen setzt die Diakonie auf Förderung, Motivation und flächendeckende professionelle Beratung. Das Konzept der finden Sie hier.
Defizite der Reichtumsforschung
Ein lesenswerter Beitrag von Gerhard Bäcker und Ernst Kistler
Im Vergleich zur Armut ist Reichtum ein weniger erforschtes Thema. Reichtum markiert jedoch genauso die soziale Ungleichheit, die in der Bevölkerung als eines der größten Probleme der Gegenwart angesehen wird. Mehr Informationen über die Einkommenskonzentration am oberen Ende der Pyramide könnten die Diskussion versachlichen.
Im 5. Armutsbericht der Bundesregierung (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017) wird festgestellt, dass bisher ein deutlicher Unterschied in den Wissensbeständen über Armut und Reichtum besteht. Das beginnt bereits damit, dass keine Festlegungen (wie bezogen auf Armut seitens der EU) darüber bestehen, ab wann jemand als reich zu gelten habe und welche Einkommen dabei einzubeziehen sind (z. B. der Mietwert einer selbst genutzten Immobilie). Dass die gängigen Datenquellen EVS und Mikrozensus keine Angaben von Beziehern hoher Einkommen (ab 18.000 Euro Haushaltsnettoeinkommen) enthalten und andere Befragungen wie das SOEP trotz spezieller Zusatzstichproben die „wirklich“ Reichen auch nicht repräsentativ erfassen können, erschwert Reichtumsanalysen zentral (vgl. Interner Link:Reichtumsquoten und Interner Link:Datenprobleme).
Noch grundlegender ist aber ein weiterer Unterschied zwischen der Armuts- und Reichtumsforschung: In der Armutsforschung geht es um Fragen wie die, wie groß denn die Armutspopulation sei − Armutsrisikoquoten werden ermittelt, weil Armut mehrheitlich auch in der Politik als ein Problem angesehen wird. Das ist beim Thema Reichtum, bzw. allgemeiner beim Thema soziale Ungleichheit, nicht so eindeutig.
Das Profitstreben der Unternehmer wird seit Adam Smith als grundlegender Motor des Handelns in einer Marktordnung angesehen, das zu einer größtmöglichen „Wohlfahrt der Nationen“ führe − wenn Wettbewerb herrscht. In seinem zweiten Hauptwerk, der „Theory of Moral Sentiments“, legt er dar, dass die Sicherstellung des Wettbewerbs, Verbraucherschutz etc. Aufgabe des Staates sei, um die Grenzmoral der Unternehmer einzuhegen. (Das Streben nach) Reichtum ist in einer Marktordnung also nichts Unmoralisches, Ungleichheit an sich ist in diesem Sinne kein Problem, sondern sie wirke motivierend, fördere Innovationen usw. Der amerikanische Traum: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ bringt das plastisch zum Ausdruck. Kritik an Ungleichheit und Reichtum lässt sich vor diesem Hintergrund leicht als „Sozialneid“ desavouieren.
Ob die Annahme eines funktionierenden Wettbewerbs tatsächlich realistisch ist, kann hier nicht näher diskutiert werden. Zweifel sind jedoch angebracht, insbesondere seit im Rahmen der Globalisierung die großen Mitspieler am Weltmarkt gefördert werden und nicht erwiesen ist, dass der so entstehende oligopolistische Wettbewerb auch funktioniert.
Mit Totschlag-Argumenten à la „Sozialneid“, dem Kapital als „scheues Reh“, der Drohung mit Investitionsabstinenz oder der Erpressung mit Arbeitsplatzverlusten lässt sich die Debatte um die Einkommens- und Vermögensverteilung bzw. um die Folgen von Reichtum und Ungleichheit jedenfalls nicht führen.
Eine solche Debatte ist aber angesichts der neueren Ergebnisse zu den Folgen einer zu großen Ungleichheit bzw. einer zu starken Einkommens- wie Vermögenskonzentration unverzichtbar. Es gibt, so die Kernbotschaft vieler neuer Untersuchungen, ein optimales Maß an Ungleichheit bzw. privaten Reichtums. Werden diese Grenzen überschritten, so treten negative Konsequenzen auf. Diese betreffen auf der subjektiven Ebene Reaktionen wie Motivationsverlust bei denen, die keine Hoffnung darauf haben (können), reich zu werden, Vertrauensverlust in das wirtschaftliche und politische System, bis hin zur Radikalisierung (vgl. „Interner Link:Folgen einer wachsenden Ungleichheit„). Auf der gesellschaftlichen Ebene können Protestbewegungen dadurch gestärkt werden etc. Schließlich gibt es eine Reihe von nicht nur theoretisch denkbaren, sondern inzwischen auch empirisch gut belegten [1] negativen ökonomischen Folgen einer zu starken Ballung von Einkommen (und Vermögen) bei den Superreichen: Wettbewerbsverzerrungen, Wachstumsschwäche, Beschäftigungsverluste, Innovationsabstinenz, usw.
Soziale Ausschließung von überschuldeten Wohnungslosen
Ausschluss Wohnungsloser vom Insolvenzverfahren
Herr M. war arbeitslos und wohnungslos, als er eine Leipziger Schuldnerberatungsstelle aufsuchte. In einem durch das Jobcenter gefördertem Einzelcoaching war das Thema Schulden auf den Tisch gekommen und infolgedessen der Termin in der Schuldnerberatung vereinbart worden. In den Beratungsgesprächen wurde bald klar, dass das Mittel der Wahl in seinem Fall das Verbraucherinsolvenzverfahren war. Alles sprach dafür: die Schuldenhöhe, die Struktur der Gläubiger, das Fehlen von pfändbarem Einkommen und Vermögen. Nach Einschätzung der Schuldnerberatung und eigenem Bekunden war Herr M. dazu in der Lage, ein mehrjähriges Verfahren durchzustehen. Allein die Wohnungslosigkeit könnte ein Problem darstellen, was in der Beratung auch erörtert wurde. Herr M. entschied sich dennoch, mit dem Insolvenzantrag nicht zu warten, bis er eine Wohnung gefunden hat. Der Antrag wurde abgewiesen.
Hier können Sie den folgenden Schriftwechsel zwischen dem Amtsgericht und der Schuldnerberatung lesen:
Nach ca. einem Jahr vereinbarte Herr M. erneut einen Termin in der Schuldnerberatung. Nach langem Suchen und vielen Absagen hatte er eine Wohnung gefunden. Ihm ist es gelungen, den Teufelskreis sozialer Ausgrenzung an zwei Stellen zu durchbrechen. Geblieben war zum Zeitpunkt der Beratung noch die Arbeitslosigkeit. Aber auch dabei war er voller Hoffnung, denn ein Firmenpraktikum, das er gerade absolvierte, ließ sich gut an.
Kontakt
Landesfachstelle Verbraucherinsolvenzberatung
im Freistaat Sachsen
Dresdner Straße 38b
09130 Chemnitz
Tel.: 0371 6742655
Mobil: 0173-4316591
info@lfs-inso.de
Hinweis
Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
